Gedenken an die Reichspogromnacht 7. Dezember 2020 Rede von Ute Lamla am 08.11.2020 zum Gedenken an die Reichspogromnacht „Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neustädterinnen und Neustädter,ich begrüße Sie und danke Ihnen für Ihr Kommen. In Krisenzeiten wie der aktuellen Pandemie stellt sich die Frage nach dem Erinnern in einer wohl besonderen Weise. Es ließe sich fragen: Ist es unter den bestehenden Umständen überhaupt der richtige Zeitpunkt, um gemeinsam innezuhalten und in die Vergangenheit zu blicken? Richtigerweise sind doch viele andere Veranstaltungen coronabedingt abgesagt worden. Wir können versuchen, die Verbrechen in den Nächten des Novembers 1938 zu vergessen, bei denen Neustädter Nazis das Eigentum von Familien jüdischen Glaubens auf die Straße warfen, sie Geschäftsinhaber zwangen, ihre Geschäfte preiswert zu verkaufen und in ganz Deutschland Nazis Synagogen anzündeten. Wir können versuchen zu vergessen. Doch…. Ich möchte von einem Erlebnis erzählen: Vor ein paar Wochen habe ich einen Bildungsurlaub in einem Haus auf Amrum verbracht, das in den 1920er-Jahren als erstes Kinderheim an der Nordsee diente und wo eine gewisse Else Ury einen Aufenthalt verbracht hat. Dieses Erlebnis hat sie in einem ihrer Bücher verarbeitet. Diese Bücher heißen „Nesthäkchen“ – der Name ist vielen noch heute bekannt. Das Schicksal der Autorin Else Ury dagegen nicht. Sie ist von den Nazis nach Auschwitz deportiert worden.Ich bin aufs Neue erschreckt über Schicksale, die nicht bekannt sind, deren Kultur aber zu unserem Alltag gehören. Else Ury ist eine Person von 6 Millionen Deutschen jüdischen Glaubens, zu denen auch die Neustädter Familien gehörten, an deren Schicksal wir heute erinnern. „Wer versucht, der Geschichte zu entkommen, muss auf Dauer scheitern“, sagte der Historiker Johannes Fried einmal. Nach den Erfahrungen von Hanau, Halle und dem jüngsten Terroranschlag in der Nähe einer Synagoge und einem koscheren Restaurant in der Wiener Innenstadt sehen wir, wie nahe wir einem solchen Scheitern im 21. Jahrhundert kommen können. Pöbeleien, Hass und Hetze dürfen sich nicht in unserer Gesellschaft wie eine Seuche ausbreiten. Wir nehmen heute Abstand zueinander, ja, aber wir nehmen keinen Abstand von unserer Geschichte. Sie fordert uns heraus, den Menschen zu helfen, die bedroht, beschimpft oder verfolgt werden. Wir wollen dafür arbeiten, dass alle Menschen in unserer Stadt gut leben können. Und zum Schluss: Wir haben viele christliche Kirchen und eine Moschee in unserer Stadt. Das ist wunderbar. Eine Synagoge fehlt bisher in unserer Stadt.“ [Text: Ute Lamla]